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Im Interview mit Peter Laudenbauch von der Süddeutschen Zeitung

„Wir müssen lernen, uns dagegen zu wehren“
Warum Künstler gegen die Rechten demonstrieren
Am Sonntag gehen Schriftsteller,Bibliothekare, Musiker und Schauspieler
auf die Straße, um gegen Rechtspopulisten und für die Freiheit der Kunst
zu demonstrieren. Organisiert werden die Demonstrationen vom Zusammenschluss
„Die Vielen“. Zwei der Initiatoren, die Schriftstellerin Kathrin Röggla und der Theatermann Holger Bergmann, erläutern in Berlin, warum selbst Mindeststandards neu verteidigt werden müssen.
SZ: Frau Röggla, Herr Bergmann, weshalb muss die Kunstfreiheit gerade jetzt verteidigt werden?
Kathrin Röggla: Wir schließen uns gegen den Kulturkampf zusammen, den rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte seit Jahren führen – mit der Störung
von Veranstaltungen, mit Strafanzeigen und Einschüchterungsversuchen,
aber auch mit zahlreichen Anfragen in Parlamenten. Wir müssen lernen, uns dagegen zu wehren.
Holger Bergmann: Inzwischen sind es über 2000 Kulturinstitutionen aus allen Bereichen – Landes- und Stadtbibliotheken, Opernhäuser, die Akademie der Künste Berlin, Galerien, Orchester, das Fusion Festival, und etwa 5000 Einzelpersonen, die im Netzwerk der „Vielen“ zusammenarbeiten und unsere Erklärung unterzeichnet haben. „Unite &
Shine“-Demonstrationen wird es am Sonntag in Berlin, München, Augsburg, Frankfurt, Hamburg, Köln, Mannheim, Nürnberg, Stuttgart und Wien geben.
Wechseln Sie damit von der Kunst in die Realpolitik?
Bergmann: Es geht uns nicht darum, Kunst und Kultur für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Wir suchen auch nicht die Nähe zu politischen Parteien.
„Die Vielen“ sind ein offenes Netzwerk mit vielen eigenverantwortlichen Akteuren,
ein Teil der Zivilgesellschaft. Das ist kein einheitlicher Block. Was uns bei aller Unterschiedlichkeit verbindet, ist, dass wir die Voraussetzung für Kunst und Kunstfreiheit verteidigen wollen – eine demokratische, offene, solidarische Gesellschaft. Dass man für diese Mindeststandards kämpfen muss, ist eine neue Erfahrung in der Geschichte der
Bundesrepublik.
Röggla: Es gehört zu meiner Existenz als Künstlerin, die gesellschaftlichen
Bedingungen meiner Arbeit zu reflektieren. Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum. Es geht in diesem Konflikt nicht einfach um unterschiedliche Meinungen.
Ziel der neuen Rechten ist letztlich die Destruktion, die Zerstörung der Freiräume,
in denen Kunst entstehen kann. Wenn man das Parteiprogramm der AfD liest, sieht man, dass es ihnen in der Kultur vor allem darum geht, was sie nicht wollen – eine diverse, zeitgenössische Kunst. Kunst bewegt sich immer zwischen den Identitäten, sie arbeitet
mit Ambiguitäten, Ambivalenzen,Widersprüchlichkeiten, nicht mit der Fixierung einer Identität. Deshalb reagiertdie völkische Rechte so allergisch auf zeitgenössische Kunst. Auf eine perverse Weise wird sichtbar, wie wichtig die Kunst ist. Was ich perfide finde, ist
das Verhältnis zwischen Radikalisierung und Normalisierung, indem Tabus verletzt werden, bis sich so eine neue Normalität einstellt.
Bergmann: Sie wollen Angst herstellen.
Die rechte Aggression richtet sich nicht nur gegen einige Kultureinrichtungen.
Mit der Kultur zielen sie auf eine Veränderung des Selbstverständnisses
dieser Gesellschaft, das sich wieder durch Herkunft, Geburt, Stammeszugehörigkeit,
Tradition definieren soll. Das ist das Ende der Kunst. Dagegen muss
man den Raum der offenen Debatte setzen. Die Kunst ist einer der Räume, in
denen die Gesellschaft sich mit den eigenen Konflikten auseinandersetzt,

eher suchend und fragend als mit fertigen Antworten.
Genau deshalb will die extreme Rechte eine lebendige Kultur und Kunstszene zum Feindbild machen.Wird der Legitimationsdruck für subventionierte Kulturinstitutionen größer?
Röggla: Die Unterstellung, Kunst sei etwas Elitäres, irgendwie Parasitäres,
schwingt in der Polemik der Rechtspopulisten immer mit. Das sieht man in
Ungarn, in Polen, in Österreich. Am Ende steht die Frage, wozu brauchen
wir das überhaupt.
Bergmann: Gerne rückt die AfD Kultureinrichtungen, die ihr nicht gefallen,
auch in die Nähe des Linksradikalismus, kürzlich etwa in einer Anfrage der Hamburger
AfD-Bürgerschaftsfraktion zum Kulturzentrum Kampnagel. Das ist der Versuch einer Delegitimierung und Diskreditierung. AfD-Kulturpolitiker haben offenbar ein prinzipielles Problem mit einer seit Jahrzehnten üblichen künstlerischen Praxis, wenn Künstler ihre
Arbeit als soziale Plastik, als Intervention in gesellschaftliche Prozesse verstehen.
Frau Röggla, Sie sind Österreicherin.
Befürchten Sie für Deutschland politische Verhältnisse wie in Österreich?

Röggla: In Ungarn hätte man sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können, wie
sich unter Orbán das gesellschaftliche Klima ändert. Das ist ein erschreckendes
Muster. Das nächste erschreckende Muster ist Österreich. Die Angriffe auf
Kunst und Kultur, aber auch auf den unabhängigen Journalismus sind massiv.
Vor einigen Tagen haben sich auch österreichische Kultureinrichtungen der
„Erklärung der Vielen“ angeschlossen. Bei den Diskussionen in Österreich
erlebt man, dass viele Leute geschulter, trainierter wirken in der Auseinandersetzung
mit der Rechten, nach meinem Eindruck besser als in Deutschland. Bei
uns fing dieser Kampf vor 25 Jahren mit dem Aufstieg Jörg Haiders an. Wenn
man als Journalist und Kulturschaffender dauernd Angriffen von rechts ausgesetzt
ist, lernt man, damit umzugehen.
Hätten Sie ein Problem, wenn Kultureinrichtungen Vertreter der neuen
Rechten zu Diskussionen einladen?
Bergmann:
Das muss jede Kultureinrichtung selbst entscheiden.
Röggla: Ich finde es problematisch, rechten Politikern, die eine Strategie der
Normalisierung rechtsextremer, demokratie-und menschenfeindlicher Positionen
betreiben, eine Plattform für ihre Spaltungsarbeit zu geben. Das hat nichts mit einer Scheu vor der Auseinandersetzung mit rechten Positionen zu tun. In der Kunst selbst, in vielen Theaterinszenierungen, und in der öffentlichen Debatte geschieht das ja.
Bergmann: Die AfD kann sich jederzeit vom antidemokratischen, völkischen Höcke-Flügel trennen und sich von Rechtsextremisten distanzieren. Genau das will sie offenbar nicht. Solange das so ist, muss ich mich nicht mit Vertretern dieser Partei auf ein
Podium setzen.
Vor einigen Tagen sagte der kulturpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt, den „Vielen“ ginge es um „Gleichschaltung“,
sie zeigten „ein Kunstverständnis wie in der DDR“. Der kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marc Jongen, unterstellt den „Vielen“ eine „totalitäre Gesinnung“
und das Ziel „einer ideologischen Gängelung der Bevölkerung.“ Was
sagen Sie dazu?

Röggla: Das ist wieder das übliche Spiel mit provokanten Formulierungen.
Das hat mit dem, was wir machen, nichts zu tun, ich kann das nicht ernst nehmen. Sie nutzen ein Opfernarrativ, sie inszenieren sich selbst als drangsalierte Minderheit, wenn man sich gegen ihre Versuche wehrt, Druck auf Kultureinrichtungen
auszuüben. Das ist eine absurde Verdrehung der Verhältnisse.
INTERVIEW führte PETER LAUDENBACH
erschienen in der SZ vom 17. Mai 2019